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Ein (Aus-)Flug von München nach Schloßau kurz vor Kriegsende 1918

Flugzeuge waren eine der „Wunderwaffen“ des Ersten Weltkrieges. Abseits der militärischen Landepisten kannte man sie damals üblicherweise aber nur von unten oder am Motorengeräusch. Umso faszinierender war da schon eine Landung eines solchen Fluggerätes. So auch in Schloßau im Sommer 1918, kurz vor Kriegsende, wobei diese Landung eher einem Lausbubenstreich als einer Notlandung zuzuschreiben war.

Die Geschichte begann allerdings viele Jahre zuvor, als August Hemberger (geb. am 18.09.1854) als frisch ausgebildeter Kirchturmuhrmacher nach seiner Lehre um 1875 „auf die Walz“ ging und in Andechs am Ammersee sesshaft wurde. Hier gründete er auch eine Familie. Sein Sohn wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges zum Kriegsdienst eingezogen. In München wurde er zum Piloten ausgebildet und überstand dort die Kriegsjahre des Ersten Weltkrieges unversehrt. Im Sommer 1918, also kurz vor Kriegsende, sollte er noch eine Depesche ins damals noch deutsche Elsass fliegen, was ihm allerdings - nach Durchsicht der Nachricht - als „unnötig“ erschien. Zusammen mit seinem Co-Piloten entschloss er sich kurzerhand, zu seiner Verwandtschaft in den Odenwald zu fliegen anstatt die Nachricht ins Elsass zu überbringen. Ohne moderne Navigation, sondern nur anhand von Landkarten flog er mit seinem Doppeldecker nach Schloßau und brachte den Flieger dort auch tatsächlich unbeschadet zu Boden. Wenn man beachtet, dass die Landefläche im Schloßauer „Frankenfeld“ stellenweise mit kleinen Gräben durchzogen ist, war das durchaus eine beachtliche Leistung! Erstmals sahen die Einwohner also eine solche Flugmaschine aus der Nähe und dachten zunächst an eine Notlandung, denn sie kannten ja nicht den eigentlichen Grund der Landung. Die Dampfeisenbahn ab Mudau oder Kailbach war zwar schon im Alltag integriert, ein Auto war Luxus, eine Flugzeuglandung etwas nie Dagewesenes. Telefone waren in Schloßau noch gar keine vorhanden, und so fiel der Besuch, quasi ohne jede Vorankündigung, im wahrsten Sinne des Wortes vom Himmel. Entsprechend groß wurde dieses Ereignis gefeiert. Pilot Hemberger und sein Co-Pilot nächtigten in Schloßau bei seinem Onkel Adolf Hemberger („Hilberts Adolf“). Es gab reichlich zu erzählen. Am Tag darauf wurde in der Mudauer Apotheke mit einem Leiterwagen Benzin für den Rückflug beschafft und die Maschine wieder startklar gemacht. Die Kinder des Schloßauer Kindergartens sangen noch ein Lied, bevor sich die umliegenden Anwohner zu dem historischen Postkartenfoto aufstellten. Anschließend hob der Doppeldecker wieder ab in Richtung München.

Dort war die Maschine zu diesem Zeitpunkt bereits als vermisst gemeldet, denn sie war nie im Elsass eingetroffen. Man glaubte eher an einen Absturz als an einen Abschuss und veranlasste bereits weiteres. Doch zur Überraschung aller kam die Maschine wieder zum Flugplatz in München zurück. Da die Piloten unversehrt wieder auftauchten, aber nie im Elsass angekommen waren, mussten sie sich gegenüber ihren Vorgesetzten erklären. Hierbei verstrickten sie sich schnell in Widersprüche, worauf sie vorübergehend inhaftiert wurden. Man stufte den (Aus-)Flug als einen Spionageakt ein - und das kurz vor Kriegsende. Sogar ein Ermittlungsverfahren wurde gegen die beiden Piloten eingeleitet. Ihnen drohte in der Tat ein Kriegsgericht. Als Höchststrafe stand auf solche undurchsichtige Aktionen die Todesstrafe durch ein Erschießungskommando. Beide Piloten spielten daraufhin auf Zeit, da klar war, dass der Krieg zu Ende ging und sie nach Kriegsende doch noch mit einem blauen Auge davonkommen könnten. Die Rechnung ging auf, denn als der Krieg mit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 endete, wurden sie tatsächlich freigelassen. Niemand interessierte sich mehr für ihren (Aus-)Flug in den Odenwald und sie konnten später noch ihren Kindern und der Schloßauer Verwandtschaft von dieser waghalsigen Aktion berichten.

Die Nachkommen von Pilot Hemberger leben übrigens immer noch im oberbayrischen Andechs am Ammersee. Sie betreiben dort heute das Hotel „Zur Post“ mit einer Wildmetzgerei und eigener Wildaufzucht.

Thomas Müller, Schloßau 2018

Schloßauer Anwohner und die Verwandtschaft des Piloten Hemberger vor dem Abflug des Doppeldeckers in Richtung München