Im alten Torhaus in Schloßau starben vor 150 Jahren vier Personen

Es gibt Ereignisse im Leben, die stellen alles in den Schatten, was man sich als Schicksalsschlag für eine Familie überhaupt nur vorstellen kann. Eine solche Tragödie trug sich auch vor 150 Jahren im alten Schloßauer Torhaus des leiningenschen Wildparks zu, als innerhalb einer Woche vier Familienmitglieder in abgeschiedener Waldeseinsamkeit an Diphterie starben. Heute ist diese Krankheit nahezu vollständig unter Kontrolle und diesbezügliche Todesfälle sind kaum noch denkbar.

Es war im Jahr 1806, als das Fürstenhaus Leiningen damit begann, im Gebiet zwischen Hesselbach und Schloßau, bzw. dem Reisenbacher Grund und Breitenbuch, einen ausgedehnten Wildpark anzulegen. Der damalige Fürst Karl Emich zu Leiningen wollte die Bejagung des Wildes kontrolliert vornehmen, denn die Bauern seiner Standesherrschaft klagten über Wildschäden und so kam es zu unterschiedlichen Ausbaustufen des Parks, der bis zum Jahr 1870 eine Größe von nahezu 3405 ha mit einer Zaunlänge von 55,5 km erreichte. Er umschloss sogar mehrere Dörfer wie z.B. Galmbach (Eduardstal), Neubrunn (Ernsttal), Breitenbach und den Wassergrund. Die Parkfläche selbst wurde von zwei Straßen und einigen Wegen durchzogen, wobei dort, wo diese auf den Parkzaun trafen, verständlicherweise auch der Austritt von Wild möglich war. Um dies zu verhindern wurden dort Zauntore errichtet.

In Verbindung mit diesen Toren standen dort einfache Häuser, deren Bewohner sich selbst versorgten. Häufig gab es hierzu einen kleinen Garten, Ziegen und Hühner.

Die Zaun- oder Torwärter waren vor allem dafür verantwortlich, dass die Tore nicht offen standen. Sie mussten zudem entlang eines zugewiesenen Abschnitts den Parkzaun kontrollieren, um Beschädigungen fest- und abzustellen. Im Winter galt es, an den vorhandenen Futterstellen das Wild zu füttern, was mitunter keine leichte Angelegenheit war. Von den Zaunwärterhäusern sind insgesamt neun dokumentiert. Dies waren das „Kailbacher Tor“ das „Frankfurter Tor“, das „Eutertor“, das „Hesselbacher Tor“, das „Schöllenbacher Tor“, das „Breitenbucher Tor“, das „Breitenbacher Tor“, das „Ernsttaler Tor“ und das „Schloßauer Tor“.

Die Namen zeigen, dass Torhäuser in unmittelbarer Nähe eines Dorfes lagen, ja sogar bis auf wenige hundert Meter zu den jeweiligen Häusergrenzen anschlossen. Im Schloßauer Torhaus hielt um 1819 die Försterfamilie Schimpf aus Bödigheim Einzug. Der Name Schimpf taucht in der Parkgeschichte über mehrere Generationen hinweg auf, wobei die Kinder gerne in die Fußstapfen ihrer Väter traten und in einer Funktion für den Wildpark arbeiteten.

Im Jahr 1868 lebte immer noch die Familie Schimpf im Schloßauer Torhaus, etwa zwei Kilometer vom Dorf entfernt. Es war ein kalter und schneereicher November in jenem Jahr. Für die Familie wurde es immer schwerer, zu den Schloßauern Kontakt zu halten. Im November waren zudem einige Familienmitglieder an der hochansteckenden Krankheit Diphterie erkrankt. Hierbei schwellen die oberen Atemwege so sehr an, dass der Erstickungstod droht. Ein wirksames Medikament gab es noch nicht und somit konnte den erkrankten Personen nicht geholfen werden. Aufgrund der schlechten Wetterbedingungen und der eigenen Erkrankung konnte der Vater, Leonhard Schimpf, auch keine Hilfe holen. Für die nicht erkrankte Mutter, Anna Schimpf, schien der Gang nach Schloßau aufgrund der Wetterlage auch unmöglich. Schaut man in die Schloßauer Kirchenbücher, ist in dieser Zeit für das gesamte Dorf eine deutlich erhöhte Sterberate dokumentiert, denn zwischen dem 17. November und dem 16. Dezember 1868 sind insgesamt zehn verstorbene Personen vermerkt. Alleine vier Sterbefälle betreffen die Familie Schimpf aus dem alten Schloßauer Torhaus, wobei nur zwei Personen in Schloßau beerdigt wurden. So starb am 30. November Emma Schimpf mit acht Jahren. Sie wurde am 2. Dezember vormittags um zehn Uhr von Vikar German Meier in Schloßau beerdigt. Am 1. Dezember starb Karl Schimpf im Alter von sechs Jahren. Am 2. Dezember starb der Familienvater und fürstlich leiningensche Jagdaufseher Leonhard Schimpf mit 42 Jahren. Beide wurden am 4. Dezember, nachmittags um 13 Uhr von dem protestantischen Pfarrer in Bödigheim beerdigt. Am 6. Dezember starb schließlich auch noch Sohn Leonhard Schimpf mit drei Jahren und neun Monaten. Er wurde am 8. Dezember morgens um neun Uhr von Vikar German Meier wiederum in Schloßau beerdigt. Zurück blieben die Mutter Anna Schimpf und drei weitere Töchter.

Bald darauf wurde das alte Torhaus schließlich aufgegeben und durch ein neues Zaunwärterhaus, etwa 500 Meter näher am Dorf, ersetzt. Das alte Haus wurde bald nach der Aufgabe abgebrochen. Die Mutter und die verbliebenen Töchter Maria (15 Jahre) Elisabeth (12 Jahre) und Anna Maria (10 Jahre) zogen zuerst in das neue Torhaus und um das Jahr 1877 schließlich ins Dorf. Für Anna Schimpf war in ihrem Lebenslauf der Beruf „Wildfütterin“ dokumentiert. Wie Aufzeichnungen berichten, lief sie tatsächlich im Winter täglich zum Füttern in den Wald und erfüllte ihren Beruf äußerst zuverlässig. Anna Schimpf starb im Jahr 1899, 31 Jahre nach ihrem Mann.

Bild 1: Das neue Schloßauer Torhaus gebaut um 1870, gemalt von Karlheinz Gräber. Schön zu sehen ist der Zaun des Wildparks links. Bild wurde bereitgestellt von Bernadette Reinl.

Bild 2: Die Kreuzung Seitzebuche, unweit des alten Schloßauer Torhauses, im Volksmund „Schimpfe Buche“ genannt, aufgenommen um 1940. Bild bereitgestellt von Klemens Scheuermann.

Thomas Müller, Schloßau im Dezember 2018

Quellen: 

- mündliche Überlieferungen

- Generallandesarchiv Karlsruhe