Als der Krautschneider noch durch das Dorf zog

Das Leben auf dem Lande brachte von je her neben reichlich Arbeit auch eine Reihe von Erntephasen mit sich. Nach dem Einbringen des Getreides stand die Kartoffelernte, danach die Obsternte und im Oktober schließlich noch das Einschneiden von Weißkraut auf dem Programm, welches nach dem Gärprozess schließlich als Sauerkraut bezeichnet und aufgetischt wurde. Das Einschneiden von Kraut war eine mühselige Arbeit, die nahezu alle Hausbewohner in Beschlag nahm. Steht hingegen heute bei der jungen Generation, wenn überhaupt einmal, Sauerkraut auf dem Speiseplan, geht das wesentlich einfacher - Konservendose auf und los geht´s. Aber wie lief die Herstellung von Sauerkraut damals ab, als es tatsächlich noch den „Krautschneider“ im Dorf gab, ein Saisonarbeiter der eigentlich nur vier Wochen im Jahr wirklich Arbeit hatte?

Alles begann mit der Anzucht der Krautpflänzchen. Im Frühjahr wurde auf lockerem Boden der Samen verschiedenster Krautarten ausgesät, um Krautzöglinge zu ziehen. Dies waren vor allem Rotkraut, Weißkraut, Kohlrabi oder Blumenkohl. Waren die Pflänzchen groß genug, wurden sie vorsichtig herausgezogen und auf einem eigenen Krautflecken oder gar auf einem Acker zwischen den Futterrüben wieder eingepflanzt. Den Feldhasen gefiel dies allemal und bis zum Morgengrauen machten sie sich sprichwörtlich "wieder vom Acker". Bis in den Oktober hinein reiften dann die verschiedenen Kohlarten allmählich heran. So hatte die Hausfrau im Herbst einiges an Kohl zu ernten. Rechtzeitig vor der Weißkrauternte wurde der dorfeigene Krautschneider bzw. der Krautritschler für das Einschneiden des Weißkrauts bestellt. Dieser hatte seine Wegstrecke im Dorf, sodass er rechtzeitig die Termine zum Krauteinschneiden bei den Auftraggebern bekanntgeben konnte. Einige Tage vor dem Ritscheltermin wurden dann die Krautsköpfe, die sogenannten Heebe, geerntet und die äußeren Blätter entfernt. Das Kraut „reifte“ dann noch ein wenig, durfte jedoch nicht welk werden, denn sonst war es nur schlecht zu verarbeiten. Knackig musste es sein, sonst gab es keine Streifen und ging schlecht zu ritscheln. Am Tag der Verarbeitung reinigte die Hausfrau schließlich die Küche und den Stänner, eine Art Holzfass mit Fassdauben oder ein gleichwertiges Gefäß aus Ton. Diese Tonstänner gab es in unterschiedlicher Größe. Sie waren braun oder grau lasiert. Heutzutage sind sie weitestgehend ausgemustert und häufig als Blumengefäße vor Haustüren zu finden.

Ausgestattet mit einer weißen Schürze, einem großen Krauthobel, dem zugehörenden Krautschlitten und einem Dorschenbohrer (Strunkschneider) kam der Krautschneider am vereinbarten Termin dann zu den Kunden und richtete zuallererst seinen Arbeitsplatz ein. Unter dem Hobel wurde eine Wanne oder früher auch der hauseigene Holzbacktrog platziert, worin ein weißes Leinentuch ausgelegt wurde, um das Schnittgut fein säuberlich aufzufangen, denn Sauberkeit war nun oberstes Gebot. Zuerst wurde der Strunk aus den Krautsköpfen herausgebohrt und die Heebe zum Schneiden zurechtgelegt. Dann begann die kräftezehrende Schneidarbeit. Gleichmäßig mit kräftigen Hüben schob und zog der Fachmann den Krautschlitten mit dem Kraut über den Hobel und verwandelte dieses in kleine Krautstreifen. War die Wanne, bzw. der Backtrog voll, wurde das Kraut in den Keller gebracht und dort in den Stänner umgefüllt. Hierbei wurde es gesalzen und dann von Kinderfüßen oder mit einem Holzstampfer Lage für Lage festgestampft. Auch hierbei war äußerste Sauberkeit unabdingbar. Jede Familie hatte bei diesem Vorgang ihr eigenes Rezept, z.B. das Einstampfen unter Zugabe von Wein oder Wachholderbeeren. Waren alle Heebe klein geritschelt und im Stänner eingestampft, kam ein Leinentuch über die Masse, wonach alles mit passenden Brettern abgedeckt wurde. Ein schwerer Stein wurde aufgelegt, damit die Bretter nicht hochschwammen, denn das Kraut zog nun Brühe. Sauberkeit und Bedecken des Krauts in Verbindung mit der aufsteigenden Brühe waren wichtig gegen Schimmelbildung und führten letztendlich zum Gären des eingeschnittenen Krauts. In den alten Sandsteinkellern herrschte nun Hochbetrieb, denn in der einen Ecke gärte das Sauerkraut, in der anderen der frisch gekelterte Most. Der Gärprozess dauerte dann etwa bis Allerheiligen. Most und Kraut waren danach verzehrbereit und über das ganze Jahr haltbar. Rotkraut wurde hingegen nicht in einem Stänner vergärt, sondern gleich nach dem Einschneiden in Gläsern eingekocht. Blumenkohl wurde frisch verzehrt und Rosenkohl blieb sogar noch bei Frost draußen.

Ab November gab es dann des Öfteren Gerichte mit Kraut, weshalb die Amerikaner zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges die Deutschen mit dem Spitznamen „Krauts“ belegten. Hiermit wollten Sie allerdings eher die Rückständigkeit der „Krautfresser“ hervorheben als sie mit dieser Bezeichnung in den Himmel zu heben. Der Geruch aus der Küche ließ an Sauerkrauttagen in der Tat wenig Wohlschmeckendes vermuten, denn die Nase isst schließlich mit! Nachdem die Besatzer dann allerdings in den Genuss der Deutschen Küche kamen, änderten sie üblicherweise ihre Einstellung gegenüber den „Krauts“ und fanden selbiges sogar schmackhaft. Auch Wilhelm Buschs Witwe Bolte genoss in der Lausbubengeschichte „Max und Moritz“ das vergärte Weißkraut und so mancher Arzt verordnete eine Portion Sauerkraut, wenn der Nachwuchs einmal etwas verschluckt hatte. Gar mystische Kräfte mutet man dem Sauerkraut seit je her am Neujahrstag zu, denn wer an diesem Tag davon isst, bei dem wird über das Jahr das Geld nicht leer!  Probieren Sie es doch zum nächsten Jahreswechsel einmal aus!

Bild 1: Friedrich Benig war in den 1970er und 1980er Jahren der letzte Krautschneider  in Schloßau, hier 1976 beim Anwesen Müller in der Kailbacher Straße.

Bild 2: Nach dem Einschneiden wurde das Weißkraut im Keller in einen Stänner umgefüllt und mit einem Krautstampfer eingestampft. 

 

Thomas Müller, Schloßau im Oktober 2020