"Säiherd" im Odenwald II

Vor 50 Jahren endete der Schweinetrieb in zahlreichen Odenwalddörfern

…“Und morgen da treiben Sie wieder eine andere Sau durch´s Dorf!“… Mit diesem geflügelten Wort, das eigentlich auf einen täglich anderen „Hauptdarsteller“ verweist, kann man auch an eine Zeit erinnern, wo tatsächlich noch Schweine durch das Dorf getrieben wurden ohne dahinter die Diffamierung eines Zeitgenossen zu vermuten. Gemeint ist der alltägliche Schweinetrieb in vielen Dörfern unserer Umgebung, woran sich so mancher unter uns sicherlich noch gut erinnern kann. Über Jahrhunderte trieben nämlich dorfeigene Hirten die Hausschweine der Dorfbewohner zur Mast in einen angrenzenden Wald. Aufgrund des stetig steigenden Verkehrs, aber vor allem wegen der zunehmend moderner werdenden Gesellschaft, war diese alltägliche Tierprozession allerdings Mitte der 1960er Jahre nicht mehr zeitgemäß und das Aufkommen von Fertigfutter, machte althergebrachte natürliche Nahrungsquellen überflüssig. Der Berufsstand des „Saiherds“ wurde somit mitten in der Blüte des Deutschen Wirtschaftswunders immer mehr aus den Odenwalddörfern zurückgedrängt und verschwand somit vor 50 Jahren nahezu überall aus dem ländlichen Leben.

Das Hüten von Hausschweinen lässt sich in den Odenwalddörfern schon für das Mittelalter nachweisen. Wie überall in Europa begann man zu jener Zeit auch bei uns damit, Hausschweine zu züchten. Die Schweine dienten fortan als Fleischlieferanten für die Haushalte und vereinfachten so den Alltag, denn bis zu dieser Zeit war der Mensch noch als Jäger und Sammler in den Wäldern unterwegs. Durch die Schweinehaltung wurden nun auch die Hausabfälle der Menschen verwertet, wodurch im Umkehrschluss Ratten weniger stark angezogen wurde. Ein Nebeneffekt der unter anderem auch zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen sorgte und dazu beitrug den Pesterreger zurückzudrängen. Hierdurch setzte langsam ein nie dagewesenes Bevölkerungswachstum ein.

Allerdings reichten die Hausabfälle bei weitem nicht zur vollständigen Ernährung der vermehrt gehaltenen Tiere aus. Hinzu kam, dass die Verbreitung der Kartoffel als menschliches Grundnahrungsmittel und tierische Nahrungsergänzung in Europa nur schleppend vorwärts kam. Bei uns im Odenwald setzte der Kartoffelanbau erst nach dem 30 jährigen Krieg ein und somit war man lange Zeit auf den Wald als Nahrungslieferanten für Menschen und Tiere angewiesen. So wurden Schweine und in Jahren mit schlechten Ernten auch das Großvieh, in die heimischen Wälder getrieben, um diese dort zu füttern und somit möglichst viel von der hauseigenen Ernte für den Winter einzusparen. Die Fütterung im Wald erfolgte mit ausdrücklicher Genehmigung der Landesherren, denn diese profitierten einerseits von der Verpachtung der Wälder und andererseits von den Frondiensten der sich stetig vermehrenden Untertanen sowie deren Abgaben (Zehnten). Es war also beiden Parteien geholfen. Der Waldboden selbst bot den Tieren einen reichhaltigen Speiseplan. Mit seinen Insekten und Wurzeln im Boden, sowie mit herunterfallenden Eicheln, Buchäckern, Kastanien oder Haselnüssen im Herbst, war der Wald ein wahrhaftes Nahrungs-Eldorado, wobei vor allem die eiweiß- und fetthaltigen Herbstfrüchte, rechtzeitig vor den Schlachtfesten, für eine besondere Fleischqualität der Allesfresser sorgten. Im Winter war der schweinische Speisplan hingegen über Jahrhunderte hinweg eher dürftig. Er bestand dann nur aus den erwähnten Hausabfällen, sowie aus gesammelten Waldfrüchten, Obst, wasserhaltigen Rüben und später dann auch aus den erwähnten Kartoffeln. Um möglichst viel Futter zu sparen wurden daher vor dem Einsetzen der Winterzeit die Mastschweine geschlachtet. Nur die Zuchtschweine wurden durchgefüttert, denn diese sorgten zu Jahresbeginn wieder für Ferkel und setzten so den Kreislauf erneut in Gang.

Thomas Müller

Bild: Repro Thomas Müller