Der Schweinetrieb bedurfte keiner Dressur

Der Schweinetrieb in den Dörfern begann alljährlich bei geeigneter Witterung nach der Schneeschmelze, etwa Ende April. Fortan lief der Hirte jeden Tag zum Haus, das am weitesten entfernt war und startete von hier aus mit einem ersten Hornsignal den Schweinetrieb. Danach pilgerte er gemächlich durch das Dorf und sammelte auf dem Weg immer mehr Schweine zusammen. Vor den Häusern gab er mit dem Horn einen Signalton ab. Nach diesem Ton öffneten die Anwohner die Stalltür und ließen sogleich „die Sau raus“, denn die Borstentiere stürmten sofort aus dem Stall. Je nach Größe des Dorfes hatte er bald eine stattliche Zahl an Schweinen zusammen, so dass er schließlich weiter zum Aufenthaltsplatz im Wald oder am Waldrand zog. In Waldauerbach lag dieser Platz im Gewann „am Trieb“, in Schloßau am „Säitrieb“ im Gewann Neuhof (in späteren Jahren im Fuchseneck), in Mörschenhardt in der Nähe der heutigen Sendemasten, in Donebach auf halber Strecke dem Weiler Ünglert zu. Der „Saiherd“ war beim alljährlich ersten Marsch immer froh, wenn er ein paar „erfahrene“ Schweine dabei hatte, denn diese kannten noch den Weg vom letzten Jahr. Die Neulinge folgten dann problemlos den „alten Hasen“ und kannten bereits nach kurzer Zeit die Prozedur. Sie folgten schon bald von alleine der vorbeiziehenden Herde, wobei der Hirte normalerweise nicht einmal einen Hirtenhund benötigte, um die Tiere auf dem Weg zu halten. Lediglich seine Rute diente bei Bedarf zur Züchtigung der Tiere. Das war ein Grunzen und Quieken während der gesamten Prozession! Überall hinterließen sie ihren Naturdünger und wenn dann Regen hinzu kam sah es auf den zumeist unbefestigten Wegstrecken aus „wie sau“. Man stelle sich dies einmal in heutiger Zeit vor, auf gut ausgebauten Straßen mit gepflegtem Schuhwerk oder frisch geputzten Autos. Jedenfalls erreichte die Gruppe irgendwann das Ziel im Wald. Mit ihrem Rüssel durchwühlten die Borstentiere den Boden, wälzten sich darin und hinterließen auch hier ihren Naturdünger. Im Schlamm fühlten sie sich sauwohl. Nach einigen Stunden ging es schließlich wieder zurück ins Dorf. In umgekehrter Reihenfolge wurden die Säue wieder abgeliefert. Viele Familien hatten ihre Tiere auf dem Rücken gekennzeichnet, damit abends auch wieder die richtigen Schweine im Stall waren. Diese wussten aber ohnehin nach kurzer Zeit wo sie hingehörten und kamen meist von alleine zurück in den heimischen Stall, wo zum Anfüttern bereits die nächste Portion Futter im Trog auf sie wartete. Es war dann ein Leichtes, die Stalltüre hinter den Tieren zu schließen.

Wie erwähnt lief dieses Prozedere Tag für Tag ab, bis in den Spätherbst. Nur die Sonn- und Feiertage stellten im Einklang mit den kirchlichen Regeln, Ausnahmen dar. Ab November mangelte es auch schon an „Teilnehmern“, denn diese landeten jetzt vermehrt als Wurst und Fleisch auf den heimischen Tischen. Zum Ende der Saison wurden nur noch die wenigen Zuchtschweine ausgetrieben. Schließlich sorgten diese zum Jahresanfang wieder für Nachwuchs der dann ab April wiederum zur Mast ausgetrieben wurde. Der Umtrieb begann somit für ein weiteres Jahr von neuem.

Die Schweineprozession lief in sehr vielen Odenwalddörfern über Jahrhunderte in ähnlicher Weise ab und endete nahezu überall gleichzeitig vor etwa 50 Jahren. Mit dem Ende des Schweinetriebes ging allerdings auch ein Stück Nostalgie auf dem Lande verloren.

Bild 5: Ohne große Mühe ging es vom Wald zurück. Wie an der Schnur gezogen ziehen die Schweine zurück ins Dorf.

Bild 6: Im Wald fühlten sich die Schweine besonders wohl. Schweinisch sah es dort nicht nur aus sondern ging es auch zu!

Thomas Müller

Bilder: Repro Thomas Müller