Schloßauer Sagen aus neuer Zeit

In unserer schnelllebigen Zeit fällt es uns häufig schwer, sich ein Leben ohne den technischen Fortschritt des 20. und 21. Jh. vorzustellen. Viel zu sehr sind wir abhängig geworden von den technischen Neuerungen und modernen Kommunikationsmöglichkeiten.

Doch versetzt man sich gedanklich etwa 130 Jahre zurück, in die vermeintlich „gute alte Zeit“, dann entdeckt  man wieder die einfachen Dinge des Lebens ohne Elektrizität, Auto, Computer  und Handy. Als Ort der Kommunikation finden sich u.a. Gaststätten und Spinnstuben. Zur „modernen“ Fortbewegung nutzte man Fahrräder und zur Abendstunde erhellten Petroleumlampen den Raum.

Die Sagen und Geschichten aus alten Überlieferungen wurden gerade um die Jahrhundertwende des 19./20. Jh. in den aufstrebenden Gaststätten und während der Wintermonate auch in den Spinnstuben, weitergegeben und erstmals auch aufgeschrieben. Hierbei wurden diese natürlich auch häufig modifiziert und gerade durch Heirat in andere Ortschaften „mitgenommen“. So gibt es Geschichten mit ähnlichen Begebenheiten nahezu überall. Dass aber um diese Zeit noch Sagen entstanden, die auch noch heute weitererzählt werden, ist eher eine Seltenheit.

Einige dieser „neuen“ Sagen aus dem Schloßauer Umfeld möchte ich mit dem Beginn ihrer Entstehung wiedergeben. Offen bleibt allerdings jeweils die Frage, was tatsächlich dahintersteckte.

Ausgangspunkt der ersten beiden Sagen, sind die Schloßauer Gaststätten. Vor allem beim ehemaligen Schloßauer Schildwirt „Löwen“, dem heutigen Forsthaus, beim „Hirschwirt“ und später beim „grünen Baum“, trafen sich in jener Zeit die Burschen der Schloßauer Umgebung und trieben so manchen Schabernack. In Waldauerbach war die Gaststätte „Rose“ ein gern aufgesuchter Treffpunkt der Jugend.

Der Schloßauer Schmied, Valentin Münkel, lebte gegen Ende de 19. Jh.. Er war ein Mann von großer und breitschultriger Statur, sein Wesen ohne jede Furcht. Aufgrund seiner düsteren Erscheinung wurde er auch „der schwarze bzw. rußige Schmied“ genannt. Er behauptete von sich, dass er mit einer zwei Zentner schweren Eisenstange vor dem badischen Großherzog exerziert hatte und hiermit gehörig  für Eindruck bei ihm sorgte. Der schwarze Schmied war immer wieder mit den Schloßauer Burschen zu Gange. Eines Tages wurde ihm eingeredet, dass im Bödigheimer Wald, auf Mudauer Gemarkung, der Teufel als Reiter ohne Kopf unterwegs sei und dort an einem markanten Baum auch schon häufiger um Mitternacht gesehen wurde. Valentin Münkel hielt dies für blanken Unsinn und wollte der Sache schließlich auf den Grund gehen. Da die Burschen sich nicht trauten den schwarzen Schmied bei Dunkelheit dorthin zu begleiten, machten sie ihm zur Aufgabe, eine aktuelle Tageszeitung als Zeichen seiner Anwesenheit an dem erwähnten Baum anzubringen. Nur mit einer Öllaterne ausgerüstet und der Zeitung in der Tasche, machte er sich abends auf den Weg in Richtung Mudau, wo er wohl gegen Mitternacht auch am erwähnten Baum ankam. Dort fixierte er die Zeitung und stieß lautstark den Satz aus „Wenn´s en Deifel gibt, dann soll er kumme!“ Es tat sich nichts und so ging er in seinem Mut gestärkt, über den gefürchteten Neuhof zurück nach Schloßau, um auch im Neuhof nach dem Reiter ohne Kopf Ausschau zu halten, da man diesen, gemäß einer älteren Sage, auch in diesem Gebiet schon häufiger gesehen haben will. Auch hier traf er niemanden. Die Schloßauer Burschen fanden tags darauf die Zeitung wie vereinbart am besagten Baum. Vom „Teufel“ und „dem Reiter ohne Kopf“ aber, fehlt seither jede Spur.

Auch der Sohn von Valentin Münkel, Julius Münkel , war wie sein Vater Schmied. Nebenbei war er Messner und gelegentlich arbeitete er in der fürstlich leiningenschen Brauerei. Er lebte um die Jahrhundertwende des 19./20. Jh. und war von gleicher Statur wie sein Vater. Zu dieser Zeit zog es die Schloßauer Burschen häufig in die Gaststätte Rose, nach Waldauerbach. Unabhängig voneinander berichteten die Bürger immer wieder von einem geheimnisvollen Licht um Mitternacht, welches direkt am Schloßauer Dornplatz, dort wo heute das neue Schützenhaus steht, aufleuchtet. Niemand traute sich der Sache auf den Grund zu gehen. Dies ging so über einige Zeit, bis sich Julius Münkel nach einem Gaststättenbesuch in Waldauerbach, kurz vor Mitternacht  alleine auf den Nachhauseweg in Richtung Schloßau aufmachte. Unterwegs fertigte er sich noch einen dicken Buchenprügel an. Dann ging er hin zum geheimnisvollen Licht. Genau an der hell erleuchteten Stelle, stieß er den Stock in den Boden und machte sich sogleich von Dannen. Am nächsten Tag schaute er nach seinem Buchenstock, der schließlich inmitten eines morschen und hohlen Baumstumpfes steckte, den er dann kurzerhand einebnete. Das Licht aber, wurde zur Verwunderung der Schloßauer, die von seiner Tat nichts wussten, seither nie mehr gesehen. Julius Münkel aber erzählte erst viel später von seinem Alleingang  und so ist die Geschichte bis heute erhalten geblieben.

Eine weitere Geschichte handelt vom Holzhändler „Kunze Karle“, der in der ersten Hälfte des 20. Jh. in Schloßau lebte. Sonntags, während der heiligen Messe, war er immer wieder unterwegs um Holz in seine Holzliste aufzunehmen. Er war nicht gerade gottesfürchtig und zollte auch dem  Teufel keinen Respekt. So redeten ihm die Schloßauer Burschen ein, dass sein sonntägliches Fehlverhalten eines Tages den Teufel heraufbeschwören würde. Er gab darauf gerne zur Antwort: „Wenn der  Deifel kimmt, dann fahr ich´n mit dem Schubkarre zum Ort naus!“

An einem Sonntag  kehrte der Kunze Karle sehr zerstreut zurück und war seither nicht mehr der „Alte“. Später erzählte er, dass an jenem Sonntag, während der Messe, ein kleines Männchen mit hochgezogener Kapuze im Wald wortlos seinen Weg kreuzte und hierbei eine Schubkarre vor sich her schob. Das Männlein verweilte schweigend für einen Moment und noch ehe sich der Kunze Karle besann, war das Männchen auch schon wieder verschwunden. In diesem Moment läuteten in der Ferne die Glocken der Schloßauer Kirche zur Wandlung. Er machte sich sofort auf und  ging nach Hause. Diese unheimliche Begegnung löste einen Wandel in seinem Leben aus und er ging nun sonntags nicht mehr seinem Gewerbe nach.

Das bekannteste Schloßauer Original unserer Zeit mit regelrechtem Kultcharakter, lebte zwischen 1895 und 1980. Es war Ludwig Benig, genannt „Lui“. Schon seine Herkunft war umstritten, denn die Schloßauer schwiegen zeitlebens über den Vater vom „Lui“ oder äußersten sich nur hinter vorgehaltener Hand.

Ludwig Benig war von kleiner Statur. Er kam mit einer offenen Seite zur Welt und nach dem frühen Tod der Mutter drohte er zunächst als Ortsarmer zu verhungern. Seine offene Seite machte ihm sein ganzes Leben lang zu schaffen und es blieb ihm bis zu seinem Tod ein behinderter Fuß, den er beim Laufen etwas nachzog. Seine Fingerfertigkeit und sein handwerkliches Geschick entwickelten sich jedoch zu einem Markenzeichen, welches ihn bei den Bauern der Umgebung als „Mannenmacher“ bekannt machte. Bei Ihnen saß er in der kalten Jahreszeit in der warmen Küche, reparierte Mannen und Schinker und erzählte Geschichten. Nebenbei war er auch noch als Sprengmeister bei den Förstern der Umgebung beschäftigt.

Er begann schon recht früh mit dem Orgelspiel, das er sich selbst beibrachte und das ihm von 1919 bis 1975 den Dienst des Organisten einbrachte. Als Gründungsmitglied führte er mit großer Leidenschaft  im Schloßauer Gesangverein - ohne Ausbildung - den Taktstock. Aufgrund seiner außerordentlichen musikalischen Begabung, wurde schließlich dem ebenfalls musikalisch begabten, ehemals ortsansässigen Lehrer, die Vaterschaft zum Lui zugeordnet.

Ludwig Benig  verstand es auch durch Selbststudium, den Inhalt von „mystischen Büchern“ zu verstehen und umzusetzen. In Schloßauer Kreisen sprach  man diesbezüglich gerne vom siebten Buch Moses, welches er regelmäßig studierte aber gut versteckte.

In den Gaststätten und Bauernstuben war jedenfalls immer was geboten, wenn „Lui“ auftauchte und dort „hexte“. Er verstand die Kunst der Hypnose, die er sich wiederum im Eigenstudium aneignete. Vor allem die holde Weiblichkeit bekam seine mystischen Kräfte gerne zu spüren und musste des Öfteren das stille Örtchen aufsuchen, wenn „Lui“ ihnen dies ankündigte. Gerne versetzte er sie auch in Hypnose oder zitierte aus dem geheimnisvollen Buch.

Interessant  wurde es, wenn er gedankenversunken durch die Gaststätte blickte und einem wohlhabenden Bauern erzählte, dass zu Hause ein Pferd im Schweiß steht, dessen Schwanz geflochten sei. Noch geheimnisvoller wurde es, wenn sich die Bauern später hiervon auch noch überzeugen konnten und ein Pferd tatsächlich mit geflochtenem Schweif im Schweiße stand. Es gibt allerdings keinen lebenden Schloßauer mehr, der dies mit eigenen Augen gesehen hat!.

Seine Künste allerdings gingen größtenteils verloren, als bei einem Brand im Wohnhaus von Ludwig Benig auch sein geheimnisvolles Buch verbrannte. So bleibt dessen Inhalt für immer ein Geheimnis das der „Lui“ schließlich mit ins Grab nahm.

Auch wenn wir heute bei den noch lebenden Augenzeugen nicht mehr viel von den Details all dieser Geschichten erfahren können, so sorgten diese Schloßauer „Originale“ über viele Jahre für reichlich Gesprächsstoff und für kurzweilige Stunden in den Gaststätten und Bauernstuben, ganz ohne Fernseher und Tricks der Zauberer.

Quellen: Mündliche Überlieferungen der Schloßauer Bevölkerung

Thomas Müller, 2009

Bild 1: Der Sohn vom schwarzen Schmied, Julius Münkel, mit seinen Enkeln

Bild 2: Das alte Gasthaus „Hirsch“ um 1903, heute Anwesen Moser

Bild 3: Gesangverein Schloßau im Jahr 1971; Ludwig Benig 1. Reihe (sitzend), 5. von rechts