100 Jahre Wasserversorgung Mudbachgruppe - eine ingenieuerstechnische Meisterleistung

Wasser als Quelle des Lebens war seit je her die Voraussetzung für die Ansiedelung von Menschen. Wo es ausreichend sauberes Trinkwasser gab, wurden die Menschen auch gerne sesshaft. Der hintere Odenwald hingegen, besitzt auf dem Höhenrücken entlang der Wasserscheide zwischen Main und Neckar fast keine Quellen, die auch während längeren Trockenperioden ausreichend Trinkwasser spenden. So verwundert es auch nicht, dass sich die Besiedlung im hinteren Odenwald hauptsächlich um die wenigen und häufig auch kleinen Quellen abspielte. Auf diese Weise entstanden viele Besiedelungsparzellen (Huben), mit jeweils nur wenigen Hütten, bzw. Häusern aus denen schließlich die Waldhufendörfer entstanden. In Folge zunehmender Bevölkerung wuchsen diese kleinen Parzellen allmählich zusammen und die Lücken zwischen den Huben schlossen sich. Das lebensnotwendige Wasser der Brunnen musste nun jedoch unter den vermehrt vorhandenen Haushalten geteilt, aber auch über weitere Strecken geschleppt werden. Führten die Quellen einmal weniger Wasser, dann herrschte Wasserknappheit und häufig entbrannte ein Kampf um das kostbare Nass. Dieser Missstand hielt über die Jahrhunderte mit wachsender Bevölkerungszahl an, nur Notzeiten brachten Entspannung. In den Aufzeichnungen unserer Vorfahren lesen wir folgendes: „In trockener Jahreszeit schöpfen die zuerst kommenden Personen den Brunnen aus und die nachkommenden müssen warten, bis wieder genügend Wasser zugelaufen ist. Zur Bekämpfung von Feuergefahr fehlt ganz und gar das erforderliche Wasser. Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, wird das Wasser sogar trüb und ist dann zu Trink- und Kochzwecken unbrauchbar“.

Eine technische Lösung zur Verbesserung der Wasserversorgung fehlte über Jahrhunderte. Man half sich mit eigenen Brunnen, Notlösungen, Kandel oder einfachen Rohrleitungen, wie z.B. Deuchelrohren aus Holz oder Ton. Hier wurde z.B. in Schloßau ein Wassertrog in der Nähe der „Spießehütte“, einem ehemaligen Haus am Waldrand, weit weg vom Dorf, mit einer mehrere hundert Meter langen Deuchelleitung aus einer Quelle im Schloßauer Frankenfeld gespeißt. Die Bewohner dieser Hütte und die des alten Schloßauer Torwärterhauses an der „Schimpfe Buche“ konnten dort Wasser holen. Das in späteren Jahren am Rande des ausgedehnten fürstlich leiningenschen Wildparks neu errichtete Schloßauer Torhaus, hatte hingegen einen eigenen Brunnen.

Die Dörfer selbst entwickelten sich langsam weiter. Es wurde vermehrt Handel betrieben, die Industrie und das Schulwesen wurde vorangetrieben, Allgemeinwissen und Erfahrungen wurden untereinander ausgetauscht, sodass der Ausbau und das Wachstum der Dörfer dem allgemeinen Wandel der Zeit und dem technischen Fortschritt Schritt hielt. An der Versorgung mit lebensnotwendigem Wasser änderte sich aber zunächst noch nichts. Gegen Ende des 19. Jh. war sogar ein Wassernotstand eingetreten. Die Beseitigung der Problematik wurde nun immer dringender! So führten die Bürgermeister der Gemeinden Donebach, Mörschenhardt und Schloßau im Januar 1886 erstmals Verhandlungen über eine gemeinsame Wasserversorgungsanlage, um den „allgemein fühlbaren Missstand“ zu beseitigen. Trotz erheblicher Kosten, war man in diesen Dörfern fest entschlossen, eine gemeinsame und wirtschaftliche Lösung im Verbund anzustreben.

Im Gebiet um diese Dörfer herum, wurden zunächst über längere Zeit mehrere Quellen und deren Wasserschüttungen beobachtet und gemessen. Schließlich zeigte sich, dass das Wasser des Hirtenbrunnen im entlegenen Ünglertsgrund, nahe der bayerischen Grenze, hinsichtlich ganzjähriger Qualität und Quellschüttung für das Vorhaben bestens geeignet war. Die anderen Quellen scheiterten entweder an der Schüttung, der Lage oder der Wasserqualität. Es vergingen einige Jahre der Vorbereitung, doch schließlich wurde im Jahr  1908 das Grundstück der favorisierten Hirtenquelle, zu einem Betrag von 2000 Mark von Franz Weimer aus Ünglert erworben. Dieser behielt sich das Recht heraus, auch zu späteren Generationen den Pumpmeister für die geplante Wasserversorgung zu stellen. Die Gemeinden erhielten für das Projekt einen Staatszuschuss, der an die Bedingung geknüpft wurde, einen Anschluss anderer Gemeinden an das Wassernetz zu gestatten, denn die Hirtenquelle hatte sogar eine im Überfluss ausreichende Wasserschüttung.

Ein Problem war die Lage der Hirtenquelle, denn die Wasserförderung erforderte eine künstliche Wasserhebung und somit aber auch dauerhaft zusätzliche Kosten für die Verbraucher. Zudem musste das unwirtliche Gelände von der Quelle zur erforderlichen Pumpstation für die Rohrleitungen auf Frosttiefe ausgegraben werden. Gleiches galt natürlich auch für  das Wassernetz. Die eigentliche Hirtenquelle lag etwa 1000 m oberhalb dieser Pumpstation im Ünglertsgrund. Dort wurde die Quelle gefasst und in verschiedenen Becken von Sand und Schwebstoffen befreit, bevor das saubere Wasser in einer Leitung mit DN 100 mm hinab zur Pumpstation geleitet wurde. Anders als heute gab es zur Jahrhundertwende auf dieser Strecke bis hinab zur bayerischen Landesgrenze, noch felsiges und buschreiches Wiesengelände. Der heute vorhandene Wald wurde erst später aufgeforstet, denn heute kennt man das Pumphaus nur gut versteckt, im dichten Wald.

Im Mai 1909 legte schließlich die Großherzogliche Kulturinspektion Mosbach, den Entwurf einer Wasserversorgungsanlage für Donebach, Mörschenhardt und Schloßau vor. Bereits im September des gleichen Jahres erfolgte ein Nachtrag, der später auch die Aufnahme der Dörfer Auerbach, Oberscheidental und Reisenbach in diesen Verbund ermöglichen sollte. Am 26. Januar 1910 wurde das Vorhaben schließlich durch die Großherzogliche Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues in Karlsruhe genehmigt. Die eigentliche Verbandsgründung der Wasserversorgung „Mudbachgruppe“ durch die Gemeinden Donebach, Mörschenhardt und Schloßau, fand am 31. Mai 1911 statt. Es folgten die Vergabe und der Baubeginn der einzelnen Gewerke. Hierfür waren insgesamt 328.500,- Mark veranschlagt worden. Alle gemeinsamen Anlagen, wie Pumpwerk und Hochbehälter sollten Eigentum des Verbandes werden, die Rohrleitungen in den Ortschaften hingegen gingen letztendlich in Besitz der jeweiligen Dörfer des Verbundes über. Bei den Bauarbeiten für das Leitungsnetz kamen vorwiegend Rohrleitungsbauer aus Italien zum Einsatz. Hierfür galt es 12,4 km Förderleitungen von der Pumpstation zu den jeweiligen Wasserhochbehältern zu verlegen. Der höchstgelegene und gleichzeitig entlegenste Punkt war in Reisenbach mit einem Höhenunterschied von 235 Metern.

Zur Wasserförderung wurden im Pumphaus der Hirtenquelle drei Hochdruckkolbenpumpen eingesetzt, die mittels Riemenantrieb über zwei mächtige Pelton-Turbinen angetrieben wurden. Derartige Turbinen wurden vorwiegend dort eingesetzt, wo man viel Wasser zum Antrieb der Pumpen benötigte. In einem Stauwehr nahe der Hirtenquelle, also auch etwa 1 km oberhalb der Pumpstation, wurde der vorbeifließende Mudbach für die Speißung der Peltonturbinen angestaut. Von diesem Stauwehr führte eine ca. 30 cm im Durchmesser messende Rohrleitung hinab zu den Turbinen im Pumphaus. Auf den 45 m Höhenunterschied standen somit insgesamt 70 Tonnen Wasser in dem Rohr oberhalb der Turbinen. Zehn Meter Höhenunterschied entsprechen einem Druckanstieg von einem bar. Der hydrostatische Druck und eine ausgeklügelte Turbinentechnik reichten aus, um die Hochleistungspumpen im Pumphaus zu betreiben, die das Frischwasser über eine Förderleitung in die Hochbehälter der beteiligten Dörfer förderten. Ein Elektromotor als Ersatzaggregat für die beiden antreibenden Turbinen hielt erst viele Jahre später, mit der zunehmenden Elektrifizierung, Einzug. Aufgrund der enormen Förderhöhe zum Wasserhochbehälter in Reisenbach, mussten die gusseisernen Förderleitungen, mit einem Nenndurchmesser von 150 mm, teilweise sogar mit verstärkter Wandung ausgeführt werden. Es wurden somit 3 Rohrleitungen auf der Strecke zwischen dem Ünglertsgrund und der Pumpstation (siehe Bild 2) verlegt.

Im Jahr 1913 ging die Wasserversorgungsanlage der Verbandsmitglieder der Mudbachgruppe in Betrieb, ein genaues Datum ist nicht belegt, allerdings gibt es aus dieser Zeit noch Rechnungen an Endverbraucher. Auch über ein Einweihungsfest ist nichts dokumentiert. Als zu späterer Zeit Steinbach und Rumpfen mit ihren jeweils eigenständigen Wasserversorgungen vermehrt Probleme hatten, überlegten auch diese Dörfer eine Anbindung an das Wassernetz der wirtschaftlich arbeitenden Mudbachguppe. Die Verhandlungen scheiterten jedoch jeweils in frühen Stadien. Die Anlage im Ünglertsgrund wurde mehrfach dem Stand der Technik angepasst und blieb ebenfalls von Rückschlägen nicht verschont. Im Jahr 1922 erkrankten einige Bürger aus Donebach an Typhus, wobei man den Krankheitserreger im Leitungswasser vermutete. Eine Entkeimungs-. und Filteranlage wurde nachgerüstet. Einige Jahre förderte das Pumphaus nicht genügend Wasser, so dass die Hochbehälter Schloßau und Donebach stundenweise stillgelegt werden mussten, um in dieser Zeit für Scheidental und Reisenbach eine Wasserversorgung zu ermöglichen. Auch eine erforderliche Pumpenreparatur im Jahr 1948 wurde nicht durchgeführt, da die Verbandsgemeinden der beauftragten Firma die Gegenleistung von 1,5  Zentnern Weißmehl und 50 Zentnern Kartoffeln verweigerten. Das waren noch Zeiten!

Wie von Franz Weimer ausgehandelt, war das Pumphaus im Ünglertsgrund über die gesamte Betriebszeit der Arbeitsplatz der Familie Weimer. Nach ihm folgte Karl Weimer als Pumpmeister und danach kam Andreas Weimer als letzter Pumpmeister in das Pumpwerk. Dieser wohnte sogar nach seiner Hochzeit  mit seiner Frau und den Kindern etwa 5 Jahre lang  im oberen Stockwerk des Pumphauses. Es war nicht gerade eine Luxuswohnung, wenn man an den Lärm der Turbinen und die Abgelegenheit im tiefen Tal denkt. Der Schulweg führte die Kinder zudem täglich quer durch den Wald, einen steilen Berg hinauf zum Schulhaus nach Donebach und das bei Wind und Wetter.

Die Wasserversorgung unter dem Verband der Mudbachgruppe arbeitete meist wirtschaftlich und blieb eigenständig, bis zum Jahr 1982. Im Jahr 1975 wurde die Gesamtgemeinde Mudau mit ihren Teilorten gegründet. Aber schon seit Anfang der 1970er Jahre suchten die Dörfer um den Kernort Mudau nach einer Gesamtlösung für alle heutigen Teilorte, um die alten Wasserversorgungsanlagen der Ortschaften zu ersetzen. Zu dieser Zeit warteten die Verantwortlichen jedoch allerorts die bevorstehende Eingemeindung ab und ver(sch)wendete die dorfeigenen Gelder zuvor noch anderweitig, um die Wasserthematik der neuen Gesamtgemeindeverwaltung zu überlassen. Letztendlich endeten sämtliche Insellösungen der Dörfer schließlich im Jahr 1982 mit einer neuen Wasserversorgung aus drei Tiefbrunnen, nahe dem Kernort Mudau. Dies bedeutete nach 70 Jahren Dauerbetrieb auch das Ende der alten Mudbachgruppe, die sich in der „neuen“ Mudbachgruppe eingliederte. Man nutzte nach der Ablösung auf vielen Abschnitten noch das vorhandene Rohrleitungsnetz aus der Zeit um 1911 (siehe Bilder). Bei den Planungen und den Arbeiten an der neuen Wasserversorgung und den Erneuerungen der Leitungsnetze im Zuge der Modernisierungen der Ortsdurchfahrten, wurde von den Ingenieuren und ausführenden Firmen bei verschiedenen Bauabschnitten immer wieder angesprochen, dass die gesamte Anlage der „alten“ Mudbachgruppe eine ingenieurstechnische Meisterleistung war. Hiervor kann man heute noch „den Hut ziehen!“

Quellen:

  • Sonderhefte der Gemeindeverwaltung Mudau
  • Heimatbuch von Bruno Trunk: „Schloßau ein Höhendorf im Odenwald“  Seite 305 ff
  • Augenzeugenberichte: der Familien Scharmann und Schmidt aus Ünglert

Thomas Müller, Schloßau 2012

Bild 1: Italienische Leitungsbauer beim Rohrleitungsbau. Die Rohrleitungen zur Speißung der Peltonturbinen und zur Wasserförderung lassen sich anhand ihrer Nennweiten deutlich unterscheiden. Repro: Thomas Müller

Bild 2: Ingenieure beim Vermessen der bereits verlegten 3 Rohrleitungen. Es ist deutlich erkennbar, wer für das Projekt den Hut auf hatte. Repro Thomas Müller

Bild 3: Die ehemalige Pumpstation im Jahr 2011. Die Brücke im Vordergrund wurde von englischen Pionieren in diesem Jahr neu errichtet. Bild Thomas Müller

 

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