Bei einem Odenwälder Schlachtfest ging´s um die Worschd

Bild 1…“Da wird die Sau geschlacht´ und daraus Worschd gemacht“… Diese Strophe aus dem bekannten Odenwaldlied beschreibt sehr trefflich ein spannendes, wenn auch arbeitsintensives Ereignis im Jahreslauf vergangener Zeiten, auf das ein ganzes Jahr hingearbeitet wurde, das aber letztendlich für den Hauptdarsteller immer tödlich endete…

Mit allerhand Speiseresten, Getreide und Abfällen wurde eine „Butz“, wie das Schlachtschwein von der Hausfrau auch liebevoll genannt wurde, über das Jahr hinweg gefüttert. Dies geschah einerseits zur Abfallverwertung in den Haushalten, aber vor allen Dingen zur Fleischerzeugung. In vielen Odenwalddörfern war zudem ein Schweinehirt unterwegs, der die Tiere tagsüber zur Eichelmast in den Wald trieb. Dort fühlten sie sich sau wohl und saumäßig sah es unter den Bäumen und entlang des Weges auch aus. Das war noch Fleischerzeugung von glücklichen Tieren auf Bio-Art!

War ein Schwein schließlich schwer genug, so wurde mit dem Metzger ein Schlachttermin abgestimmt. In den dichter besiedelten Dörfern oder Städten hatten manche Fleischer schon frühzeitig einen eigenen Schlachtraum eingerichtet. Aus diesen Kleinschlächtereien entstanden später die ersten Metzgereien. Von dem täglichen Trieb einer Sau zum Metzger, ist übrigens der bekannte Spruch „und jeden Tag treiben sie eine andere Sau durch´s Dorf“, abgeleitet. In den kleineren Ortschaften wurde hingegen traditionell zu Hause geschlachtet und hierbei ein regelrechtes Schlachtfest veranstaltet, das vielen Lesern sicher auch heute noch in angenehmer Erinnerung ist.

Da Fleisch und Wurst sehr schnell zu verderben drohten und Gefriertruhen erst in den 1950er Jahren in den Haushalten Einzug hielten, war man bei der Deckung des Fleischbedarfes über viele Jahrhunderte hauptsächlich auf die kalte Jahreszeit angewiesen. Schließlich konnte Darmwurst nur durch Kochen, Räuchern oder durch Einlagern in Schmalz ein wenig haltbarer gemacht werden. Erst später kamen Blechdosen auf, die die Haltbarkeit der Wurst deutlich verlängerten. Bei Fleisch half man sich in vergangener Zeit durch Einlegen in Salzlacke mit anschließendem Räuchern, um es zu konservieren. Das Räuchern verlieh der Wurst und dem Fleisch zusätzlich eine feine Geschmacksnote. Personenreiche Haushalte schlachteten über die Wintermonate auch mehrmals oder es wurde auch für andere Familien geschlachtet, die keine entsprechende Ausrüstung hatten. Der wurst- und fleischhaltige Speiseplan in den Haushalten war somit während der warmen Monate äußerst eingeschränkt! Nur in Ausnahmefällen, z.B. für eine Hochzeit, gab es auch im Sommer ein Schlachtfest, da zu solchen Anlässen ein frisch geschlachtetes Schwein über das Fest fast vollständig verzehrt wurde.

Für den Schlachttag selbst gab es zuvor allerhand Arbeit. Es wurde aufgeräumt, geputzt und Brennholz für den Schlachtkessel in die Schlachtküche getragen. Nach dem Aufkommen von Wurstdosen, wurden gebrauchte Dosen nicht weggeworfen, sondern gesammelt, gereinigt und mit der Dosenmaschine des Metzgers abgeschnitten. Dosendeckel mussten gekauft werden. Hier wurde die Wurstsorte mit einem Nagel eingeritzt, da die Deckel noch keinen Aufdruck hatten. Gewürze für die unterschiedlichen Wurstsorten mussten ebenso beschafft werden, wie „Worschdkordel“ und viele andere Kleinigkeiten. Waren dann noch die „Brühmulde“, eine Kette, und das „Schlachtlederle“ samt „Zilschd“ bereitgestellt, dann war dies ein deutliches Zeichen, dass es nun wieder einer Butz an den Kragen geht. So manche Hausfrau trainierte mit dem Borstenvieh schon Tage zuvor für einen stressfreien, letzten Gang.

Am Schlachttag selbst wurde dann schon früh morgens der Schlachtkessel angeheizt. Erst wenn das Wasser kochte, war das Startsignal gegeben. Ein lautstarkes Protest-Quieken signalisierte dann „jetzt werd´s ernschd“! Die Betäubungsmethoden und allerhand Unfälle sollen mit Rücksicht auf den Tierschutz an dieser Stelle nicht aufgeführt werden, jedenfalls ging hierbei so manches schief und es blieb auch mal ein Strick oder ein Stalltürkloben auf der Strecke. Mancher Hobbymetzger beklagte auch schon mal einen gezerrten oder gar ausgekugelten Arm, samt einem blauen Schienbein! Nachdem die Sau schließlich betäubt und gestochen war, hieß es „Blutrühren“. Hier war es wichtig mit schneller Hand zu schlagen, damit dieses nicht gerinnt! Für jemanden der kein Blut sehen konnte war dies garantiert nicht der richtige Job! Danach wurde das Schwein in den Brühstänner verfrachtet und gebrüht. Anfangs wurde zum Brühen der Butz häufig ein vorhandener „Wäschestänner“ verwendet, da andere große Tröge oder echte Brühstänner noch nicht verfügbar waren. Nicht selten war hierbei das Schwein größer als der Holzzuber und es musste daher in Etappen gebrüht werden. „Irgendwie ging dies aber auch“, so ein original Odenwälder Hausmetzger! Beim Brühen wurde die Brühhaut samt Borsten mit den Glocken abgekratzt. Die Wassertemperatur war hier sehr entscheidend, denn wenn die Brühhaut und die Borsten der Sau nicht sauber abgingen, sorgte der Schwartenmagen später für Irritationen zwischen den Zähnen. Anschließend kamen das Zilst (mancherorts auch Heeseholz genannt) und die Schlachtleiter zum Einsatz. Das Schwein wurde am Zilst befestigt, auf die Leiter gelegt und rasiert. An ungünstigen Stellen wurden im Nachhinein die Borsten mit einem Spiritusfeuer flambiert. Dem gefährlichen Spiritusfeuer folgte in späteren Jahren ein Gasbrenner, der bereits beim Rasieren zum Einsatz kam und wertvolle Zeit einsparte. Nach dem äußerlichen Säubern wurde das Schwein an einer Hauswand aufgerichtet. Hier kamen anstatt einer Schlachtleiter manchmal auch sehr waghalsige Eigenkonstruktionen zum Einsatz, die nicht immer der Last einer vier Zentner Sau standhielten. War das Schwein schließlich aufgerichtet, so wurde die Bauchdecke aufgeschnitten, die Innereien entnommen und anschließend das Tier fein säuberlich zerlegt. Hierbei bekam man einen ersten Blick auf die Fleischqualität. Es sind eben die Inneren Werte einer Sau die letztendlich zählen! Der kochende Schlachtkessel wurde parallel dazu mit ausgewählten Knochen- und Fleischstücken für die unterschiedlichen Wurstsorten aufgefüllt.

Zwischenzeitlich erschien der Fleischbeschauer, ein Kontrolleur der den Gesundheitszustand des Tieres beurteilte und per Stempel an verschiedenen Stellen die Freigabe zum Verzehr erteilte. Ganz wichtig war hier die zeitaufwendige Trichinenschau mit dem Mikroskop, die an mehreren Fleischproben durchgeführt wurde. Nicht selten nahm er hierfür einige Fleischstücke mit und trank auch gerne noch einen Schnaps mit dem Metzger, bevor er sich zum nächsten Schlachtfest aufmachte. Ob diese Fleischproben dann auch tatsächlich unter dem Mikroskop, oder gleich im Suppentopf landeten, bleibt allerdings unergründet!

Jedenfalls stimmten sich derweil in der Schlachtküche die Hausfrau und der Metzger ab, was zu Wurst wird und welche Stücke später als Braten oder Schnitzel auf dem Tisch landen sollen. Dann war das „(G)wellfleisch“ (das frisch gekochte Fleisch) fertig. Die erste Mahlzeit an diesem Tag wurde in einer großen Schlachtschüssel mitten auf den Tisch gestellt. Alle starrten hinein und wollten gleich das beste Stück Fleisch abstauben. Die Kinder teilten sich die beiden Nieren – schade dass hiervon nicht mehr gab! Das war ein Treiben an der Schüssel. „So manches Mal hatte man seine Not, noch etwas für die Wurst übrig zu haben!“ fuhr der Odenwälder Metzger fort. Dann hieß es für ihn „Därm butze“ und zwar immerhin etwa 18 Meter! Die Schweinedärme wurden komplett als Hüllen für die verschiedenen Wurstsorten verwendet und mussten erst gereinigt werden. In späteren Jahren wurden anstatt der Schweinedärme auch Schafs- oder Kunstdärme verwendet. Wurde die Schweineblase nicht benötigt, so wurde sie aufgeblasen und den Kindern zum Spielen gegeben. Die Helfer mussten gleich nach der Mahlzeit Fleisch von den gekochten Knochen abkratzen. Dieses kam anschließend in die verschiedenen Wurstsorten. Im Odenwald blieben die Wurstsorten übrigens nahezu überall die Gleichen, wenn auch die Metzger unterschiedliche Reihenfolgen zu deren Fertigstellung hatten. Roter bzw. heller Schwartenmagen, Bratwurst, Leberwurst, Blut- und Kartoffelwurst mussten teilweise durch den Wolf getrieben werden oder es galt die Zutaten mit dem Messer zu zerkleinern. Ganz früher wurde der Fleischwolf übrigens noch handgeleiert, erst später folgte die elektrifizierte Version. Das benötigte Fett wurde zwecks der besseren Optik zu Würfel geschnitten. Eine gefährliche Angelegenheit war das Fett Auskochen, denn der Metzger brauchte hiervon die Grieben für die Blut- und Kartoffelwurst (in der Regel die letzten Wurstsorten). Ein Teil dieser Grieben wurde übrigens noch für Griebenschmalz oder Griebenkuchen aufbewahrt. Das ausgekochte Fett diente der Hausfrau später als Schmalz, zum Braten und Backen. Die jeweilige Fleischmasse wurde mit den Gewürzen abgeschmeckt und wer sich traute, probierte auch mal die ungekochte Blutwurst. Sämtliche Wurstarten wurden mit dem Füllhorn in die gereinigten Därme und Dosen abgefüllt. Die frischen Würste wurden gleich darauf im Schlachtkessel gekocht. Hier war die exakte Temperatur von 85°C für die spätere Haltbarkeit der Wurst ausschlaggebend. Die Brühe ergab danach die Wurstsuppe, welche dann besonders gelungen war, wenn mehr Augen aus der Sud heraus als hinein schauten! „So ein oder zwei Würste sollten schon kaputt gehen damit die Wurstsuppe auch eine Wurstsuppe ist“, sagte man damals im Odenwald. Diese Suppe wurde im Nachhinein mit kleinen Milchkannen an die Nachbarn ausgeteilt. Mit „Ribbeli“ versetzt, mit Schnittlauch verfeinert oder als Metzelsuppe zubereitet übrigens eine Köstlichkeit! Auch einige Würste gingen in die Nachbarschaft. In der Schlachtküche wurden derweil die Wurstdosen mit der Dosenmaschine verschlossen und zum Abschluss gekocht. Die Kinder erlaubten sich hier gerne mal einen Scherz, indem sie mal eben schnell ein paar Dosendeckel vertauschten. Nur eines war sicher - egal welche Wurstsorte nach dem Öffnen in der Dose war, nach dem Verzehr hat man auf jeden Fall Schwein gehabt, ganz im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo Etikettenschwindel kein Scherz sondern eine Straftat ist.

Zum Ende des Schlachtfestes wurde noch ein Abschlusskaffee zusammen mit einem Kuchen verzehrt und nicht selten bekam der Metzger vor seiner Abreise noch das „Sauschwänzle“ untergejubelt. Die Hausmetzger schlachteten während der Hochsaison, ab Ende November, häufig sogar zwei Schweine an einem Tag. Zu Anfangszeiten stellte hierbei der Transport der Schlachtutensilien für den Metzger eine echte Herausforderung dar. Vollgepackt mit Messern, Schürze, Fleischwolf, Dosenmaschine und häufig auch noch dem erwähnten Zilst, ging es zu Fuß zum nächsten Schlachtfest. Welche Erleichterung waren da ein Moped oder gar ein Auto.

Die Hausfrau hatte aber noch keinen Feierabend, denn es galt nun Fleisch zu schneiden, einzupacken, einzukochen, einzupökeln und danach aufzuräumen. Ab den 1950er Jahren wurde Fleisch dann auch portionsweise eingefroren. Zuvor war es üblich untereinander zu teilen, damit das frische Fleisch schnell verbraucht wird. Man bekam schließlich von anderen Schlachtfesten wieder einiges zurück und hatte somit auch über längere Zeit frisches Fleisch.

Besonders streng wurden die Hausschlachtungen während der Kriegsjahre beäugt. Die Fleischmenge pro Kopf war rationiert und jedes Schlachtschwein musste vor seinem letzten Gang gewogen werden. Hatte die Butz im Verhältnis zu den gemeldeten Hausbewohnern „Übergewicht“, so musste Fleisch und Wurst für das Volk abgegeben werden. Die Regularien waren in dieser Zeit streng und wurden unter Strafe genauestens von einem Dorfpolizisten überwacht. Aber trotzdem kam es häufiger vor, dass man am Schlachttag die Stalltür verwechselte und so versehentlich eine schwerere Sau „verworschdelte“, als man tags zuvor gewogen hatte.  Für den Dorfpolizist gab es dann gerne auch mal eine „Extraworschd“. Das waren Zeiten!

Das Schlachtfest endete für die Hausbewohner erst dann, wenn die Schlachtküche wieder glänzte. Wie einfach ist doch heute der Gang zum Metzger mit einer riesigen Auswahl an Produkten, aber „schey war´s“ so erinnert sich derjenige, der dieses Ritual alljährlich erlebte!

Eine schöne Geschichte erzählt man sich übrigens von einem Odenwälder Bauern, der über den ganzen Schlachttag zusammen mit dem Metzger „schnäpselte“. Draußen im Hof sammelte er unter dem Nussbaum immer wieder einige frische Walnüsse, die er gleich öffnete und aufaß. Drinnen trank er jeweils einen Schnaps zur besseren Verdauung! Aufgrund der vielen frischen Nüsse und mit steigendem Alkoholpegel, wurde dem Mann schließich übel, so dass er sich seinen Mageninhalt auf der Eingangstreppe nochmals durch den Kopf gehen ließ. Um das Missgeschick zu entschärfen, lief er mit folgenden Worten zu seiner Frau: „Fraa, Fraa, stell dir vor was abbel bassiert iss – beim reigeyn hab ich uff die Staffel gekotzt - abber sei lebdach ess ich beim Schlachde kee Niss mehr!“ – Wie erwähnt - beim Schlachtfest zählen eben die inneren Werte! - Wohl bekomm´s!

Thomas Müller, Schloßau 2013

Bild 1: Schlachtfest bei Familie Müller in Donebach mit dem legendären Metzger Karl Werner aus Donebach (Aalde Wert´s Karl) und Tierarzt Erwin Schwing aus Mudau bei der Fleischbeschau. Im Hintergrund die Donebacher Kirche. Das Bild wurde bereitgestellt von Rainer Müller, Donebach.

Bild 2: Metzger Karl Werner beim Säubern und Rasieren.

Bild 3: Metzger Karl Wenrer  bei der Familie Hört in Mörschenhardt. Hier wurden sogar zwei Schweine geschlachtet, was  in großen Haushalten häufiger vorkam. Bild bereitgestellt von der Familie Hört, aus Mörschenhardt.

Bild 4: Der Schloßauer Hausmetzger Josef Herkert bei der Arbeit.

Bild 5:Der Schloßauer Hausmetzger Karl Nörbel um 1925 mit einem Spaltbeil.

Bild 6: Schlachtfest im Felde, aufgenommen im ersten Weltkrieg

 

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