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Winter früher und heute (Teil 2)

Was allerdings für die steigenden Ansprüche bezüglich dauerhaft „freier Wege“  immer noch fehlte, waren Streugeräte. Denn nach dem „Schieben“ kam die Eisglätte. Diese kam jedoch erst bei einer dickeren Eisschicht zum Tragen, denn die steinigen, häufig schlecht befestigten Straßen und Wege sorgten noch einige Zeit für Grip. Weniger Grip hatten allerdings die Schuhe der Menschen. Von Schuhmachern noch handgefertigt waren die Sohlen angenagelt und häufig ohne jedes Profil. Gegen Kälte von unten wurde gerne Zeitung in die Schuhe eingelegt, die nebenbei noch für ein „Wohlfühlklima“ im Schuh sorgte.

Für die Kinder und Sonntagskutschen hingegen, waren der festgefahrene Schnee, Eis und Glätte geradezu optimal. Auf geräumten Straßen mit Hanglage entstanden echte Schneepisten. In Schloßau waren hierzu der Weißebuckel und der Forsthausbuckel prädestiniert, denn hier war der Auslauf des einen Buckels gleich wieder der Anlauf zum nächsten. In Mörschenhardt war der Spethsbuckel steil genug für das Treiben der Kinder. Die Anwohner hatten danach allerdings das Problem einer Eisdecke vor der Haustür. Sie schimpften nicht selten mit den Kindern über das Glatteis und wenn die Streitigkeiten besonders heftig wurden, halfen ältere Buben nachts auch noch mit Wasser nach, denn dann ging am nächsten Tag erst recht "die Post ab". Mit Schlitten oder selbst gebauten Gefährten herrschte ein reges Treiben auf den Straßen und die glatten Schuhe kamen da gerade recht. Lange eingehängte Schlittenschlangen hatten auf geräumten Strecken ihren besonderen Reiz.

Um mit dem ansteigenden Warenverkehr auf den Straßen Schritt halten zu können, stiegen zum Leidwesen der Kinder auch die Anforderungen an eisfreie Straßen. Zunächst verteilten die Straßenwärter Sand, um den Grip zu verbessern. Dies erfolgte zunächst mit einem Schubkarren. Ab den 1950er Jahren war es auch möglich, den Sand bzw. Kies mit motorbetriebenen Fahrzeugen, den ersten Unimogs, mitzuführen. Das Streugut musste allerdings zuvor vom Straßenwärter mit der Schaufel aufgeladen werden. Eines war jedoch sicher: Wenn das Streumittel schon beim Beladen gefroren war, fiel der Streudienst aus, ansonsten war es Knochenarbeit. Das Streugut wurde dann von der Ladefläche, ebenfalls mit der Schaufel, auf den glatten Straßenabschnitten verteilt. Dies war zudem gefährlich denn es bestand immer das Risiko, vom Unimog zu fallen oder mit durchgeschwitzter Kleidung sich eine Erkältung einzufangen. Da kam es dem Arbeiter gerade recht, wenn das Streugut gefroren war und sich diese Arbeit von alleine erledigte. Noch Mitte der 1950er Jahre gab es im heutigen Neckar-Odenwald-Kreis kein Streugerät. Bei den ersten Streugeräten musste das Streugut dann aber immer noch von der Ladefläche in einen Trichter geschaufelt werden, wobei dieses dann auf dem Streuteller landete und relativ ungleichmäßig verteilt wurde. Automatisch arbeitende Schneckenförderer auf der Ladefläche wurden danach entwickelt. Inzwischen wurde zudem Auftausalz anstatt Sand oder Kies eingesetzt. Das gleichmäßige Ausbringen des Streugutes bereitete allerdings immer noch Probleme, denn es gab weder Füllstandsanzeigen noch geschwindigkeitsabhängige Steuerungen. So war häufig gar nicht gestreut oder es lag haufenweise Salz auf den Straßen, wenn das Räumgerät zum Stillstand kam. Heute sorgen moderne Streumittel für eine erträgliche Umweltbelastung und moderne computergestützte Fahrzeuge für ein bequemes Ausbringen des Streugutes. Über wettergesteuerte Navigation ist es zudem möglich, schnell an einen besonders stark beeinträchtigten Streckenabschnitt zu gelangen, und frieren muss man in der geheizten LKW-Kabine längst nicht mehr. Nur eines konnte auch mit modernster Technik nicht abgestellt werden: Die Räumkräfte müssen immer noch mitten in der Nacht beginnen, damit zu den morgendlichen Stoßzeiten der Weg auch wirklich frei ist.

Thomas Müller, Schloßau 2017

Quellen:

- Joachim Mai, Mudau
- Archiv Bruno Trunk
- mündliche Überlieferungen

Bild 1: Winterliche Schlittenfahrt in Waldauerbach um 1920 (Repro: Thomas Müller)

Bild 2: Dieter und Thomas Müller auf verschneiten Straße im Extremwinter 1969 in Schloßau