Der leiningensche Wildpark

Wenn man heute das Dreiländereck zwischen Hessen, Bayern und Baden-Württemberg durchquert, kann man sich kaum vorstellen, dass dieser idyllische Landstrich einmal mitten in einem Wildpark lag.

Als Fürst Carl Friedrich Wilhelm zu Leiningen durch Napoleon von seinen Besitztümern in der Pfalz vertrieben wurde und hierfür im Jahr 1803 als Entschädigung Ländereien im östlichen Odenwald erhielt, dachte man innerhalb der Fürstenfamilie schon sehr bald daran, im neuen Besitz auch einen Wildpark mit einem Jagdhaus anzulegen. Für den Standort des Parks bekamen letztendlich die Höhenlagen des Odenwaldes mit den vielen Taleinschnitten, nahe dem Dreiländereck den Vorzug gegenüber der Region zwischen Amorbach und Miltenberg, welche zunächst als favorisierte Parkfläche vorgesehen war. Als schließlich diese ersten Pläne scheiterten, begannen im Winter 1805/1806 Planungen für den Alternativstandort rund um das Dreiländereck. Doch mit dem Tod von Fürst Carl Friedrich zu Leiningen, am 09.01.1807, stockten die Vorbereitungen für kurze Zeit. Schließlich war der neue Fürst, Emich Carl zu Leiningen die treibende Kraft zum weiteren Aufbau des Parks und bereits im Jahre 1809 begann man in großangelegten Treibjagden, Wild aus der Umgebung in die nahezu fertige Parkanlage zu treiben. Zur Verbesserung der Population wurden besonders stattliche Tiere aus entlegenen Wäldern herbeitransportiert. Auch andere Fürstenhäuser warteten mit Tieren aller Art als Gastgeschenke auf, die ebenfalls eingekreuzt wurden.

Diese erste Parkfläche betrug bereits zwischen 1.500 und 2.000 Hektar. Im Steinichtal, einem Taleinschnitt zwischen dem badischen Weiler Ernsttal (ehemals Neubrunn) dem hessischen Dorf Hesselbach und dem bayrischen Dörfchen Breitenbach, entstand parallel zur Errichtung des Wildparks ein Jagdhaus. In Erinnerung an die verlorenen Ländereien im Pfälzerwald wurde dieses Jagdhaus „Waldleiningen“ genannt und konnte bereits 1810 bezogen werden.

Nachdem auch Fürst Emich Carl zu Leiningen am 04.07.1814 starb, erlebten die neuen Jagdeinrichtungen bereits erste Existenzkrisen. Das Jagdhaus verfiel und das Wildgehege wurde nicht weiter beachtet. Erst als der inzwischen volljährige Fürst, Carl Friedrich Wilhelm zu Leiningen, die Liebe zur Jagd entdeckte, wurden die Jagdeinrichtungen wieder neu belebt.

Der Tierpark wurde vergrößert und in den kommenden Jahrzehnten entstand aus den Ruinen des Jagdhauses das ansehnliche Schloss „Waldleiningen“ im englischen Baustil.

Seine größte Ausdehnung erreichte das Gehege ab dem Jahr 1870 mit einer eingezäunten Fläche von ca. 3.405 Hektar und einer Zaunlänge von etwa 55 km. Diese Größe sollte für nahezu 50 Jahre beibehalten werden. Im Jahre 1888 wurden im Tiergatter 347 Stück Rotwild, 401 Stück Damwild und 253 Sauen gezählt. In dieser Zeit war der Wildpark zu 4/6 badisch, 1/6 hessisch und 1/6 bayerisch.

Er wurde lediglich von den beiden Hauptverkehrsstraßen Schloßau – Hesselbach – Würzberg und der Straße Amorbach – Ernsttal – Kailbach durchzogen. Letztere wurde auch erst mit dem Aufschwung der Ernsttaler Brauerei um 1840, von einem Weg zu einer Straße ausgebaut. Das Gehege wurde zudem von zahlreichen Pfaden und Fußwegen durchkreuzt. Immer dort, wo ein breiter Verkehrsweg oder eine Straße vom Parkzaun gekreuzt wurde, gab es zudem ein Parktor. Dieses musste nach dem Überqueren der Parkgrenze wieder geschlossen werden. So gab es das Frankfurter Tor, das Eulbacher Tor, das Hesselbacher Tor, das Schöllenbacher Tor, das Kailbacher Tor und das Schloßauer Tor. An diesen Toren befand sich jeweils auch ein Torwärterhaus, in dem ein Parkbediensteter wohnte. Dieser hatte vor allem Futterstellen zu kontrollieren, den Zaun abzulaufen, Wilddieberei zu unterbinden aber auch sicherzustellen, dass das Tor abends geschlossen war.

Das Gehege erlebte aber auch schwere Zeiten, die schließlich zur Auflösung nach der Jahrtausendwende führten.

Bereits zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise gab es wirtschaftliche Probleme und so kam es im Jahr 1931 zu den ersten Auflösungsgedanken des Parks. Dies verursachte einigen Unmut bei der umliegenden Bevölkerung. Dort sprach man überall von „unserem Gatter“, was eine besondere Beziehung der Bevölkerung zum Park verdeutlicht. Schließlich war dieser auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatz für viele Arbeiter der Umgebung. Fürst Emich Karl zu Leiningen ließ sich schließlich überzeugen den Wildpark fortzuführen.

Im 2. Weltkrieg wurde der Park allerdings vollständig aufgegeben. Die ehemaligen Torhäuser mit den Parktoren wurden nun anderweitig genutzt. Erst im Jahr 1956 wurde ein neues „Tiergatter“ ohne Parktore eröffnet, wobei sich die Tendenz in Richtung Schwarzwild entwickelte. Der Name „Schwarzwildfütterung Hesselbach“ ist vielen Lesern sicher auch heute noch geläufig. Der Tierbestand im Gehege schwankte nicht nur mit seiner Fläche und durch Bejagung, sondern wurde auch durch Krankheiten dezimiert. Im Jahr 1973 brach im Park die Schweinepest aus. In den Folgejahren wurden in den umliegenden Dörfern sog. Lebendfallen aufgebaut, um wieder gesunde Wildschweine für den Park zu fangen und dort auszusetzen. So konnte der Betrieb der Schwarzwildfütterung wieder aufgenommen und fortgeführt werden.

In den 1990er Jahren drohte der Park mangels Rentabilität allerdings endgültig geschlossen zu werden, doch auch dieses Mal konnte er noch bis nach der Jahrtausendwende weiterbetrieben werden. Danach wurde er immer unwirtschaftlicher und so kam im Jahr 2002 schließlich doch das endgültige Aus. Zum Zeitpunkt der Schließung betrug die eingezäunte Fläche noch 950 ha, bei einer Zaunlänge von ca. 22,6 km. Inzwischen sind große Teile der ehemaligen Parkfläche an Privatunternehmen verkauft, so dass eine Wiederaufnahme des Parkbetriebes auch nicht mehr möglich wäre. Die ehemaligen Parkdurchlässe zwischen Hesselbach und Würzberg erinnern allerdings auch heute noch an die Zeit der „Wildsaufütterung“.

Der leiningensche Park schrieb auch seine eigenen Geschichten

Weltbekannt wurde der Park durch die sehr gut organisierten Treibjagden des Fürstenhauses, bei denen häufig auch die Königshäuser aus ganz Europa vertreten waren. Auch die Verwandten aus der englischen Königsfamilie waren zu diesen Anlässen gern gesehene Gäste. Am 14. November 1972 wurde der Förster Heinz Mechler bei einer solchen Treibjagd im Park von einem Hirsch, der in die Enge getrieben wurde, getötet. Dies war der tragischste Jagdunfall in der Geschichte des Parks, bei dem auch Prinz Philip, der Ehemann von Königin Elisabeth, zugegen war. Ein Gedenkstein nahe der Unfallstelle erinnert heute noch an dieses tragische Ereignis.

Eine wahre Tragödie ereignete sich Anfang Dezember 1868 im alten Schloßauer Torhaus. Dieses stand etwa 700 Meter oberhalb der Seitzenbuche. Der Winter hielt in jenem Jahr sehr früh Einzug. Die gesamte Familie um den Torwärter Johann Leonhard Schimpf, war an der Hals- und Rachenkrankheit Diphterie erkrankt. Innerhalb einer Woche raffte der Tod drei Kinder und den 42 jährigen Familienvater dahin. Die Toten wurden erst Tage später gefunden, da man aufgrund enormer Schneemassen nicht zum Torhaus vordringen konnte und schon eine Weile niemanden vom Torhaus gesehen hatte. Nach Bergung der Toten wurde das Torhaus nicht wieder bezogen und verfiel.

Ein trauriger Zwischenfall ereignete sich auch Anfang August 1906 in Eduardstal. Ein Handwerksbursche war unterwegs nach Reisenbach und kam hierbei durch das idyllische Eduardstal, wo er auf drei Handelsreisende traf. Der abgemagerte Bursche bat um ein paar Groschen. Die Handelsreisenden vermuteten hinter ihm einen Bettler und trieben ihn den steilen Berghang hinauf Richtung Reisenbach, wo sie ihn der Gendamerie übergeben wollten. Der Handwerksbursche blieb geschwächt liegen und wurde noch 150 Meter weit gematert und geschleift, so dass er aufgrund massiver Gewalteinwirkung der drei noblen Herren starb. Die drei Händler wurden später vor Gericht gestellt. Soweit ein Zeitungsartikel des Mudauer Volksboten vom August 1906.

Eine außergewöhnliche Tiergeschichte schrieb der Rothirsch „Hansi“. Dieser wurde im Jahre 1909 als Hirschkalb der Fürstenfamilie geschenkt. Er war Spielgefährte der Fürstenkinder und wurde auch wahrhaft fürstlich behandelt. Allerdings musste er später als Zwölfender zur Strecke gebracht werden, da er nach einem überstandenen Beinbruch mehrfach Forstbedienstete angegriffen hatte.

Die schönste Tiergeschichte aus dem Wildpark schrieb jedoch die „Buz“ aus Ernsttal. Diese Bache mit dem Ruf einer „alten Jungfer“ (sie hatte in ihrem ganzen Schweineleben niemals gefrischt), stattete den Geschwistern Hemberger aus Ernsttal des öfteren einen Besuch ab und fraß ihnen buchstäblich aus der Hand. Im Bereich der Brauerei fühlte sie sich wahrlich sauwohl, was sich an ihrer mächtigen Speckschicht besonders deutlich widerspiegelte. Ihre Besuche bei der Familie Hemberger sorgten bei der Ernsttaler Bevölkerung für Spott und Hohn. So munkelte man vor allem sonntags: „Schaut hin, der fürstliche Braumeister Hemberger geht wieder spazieren – mit Frau und Sau!“

Ob sie nach diesem Schnappschuss auch eine halbe Bier getrunken hat, ist allerdings nicht überliefert.

Quellen:

  • Das Leininger Jahr
  • Mündliche Überlieferungen

 Thomas Müller, Schloßau 2015